Discord: Auf diesem Online-Dienst landeten die Pentagon-Leaks (2024)

Ein 21-jähriger Militärangehöriger steckt wohl hinter der Veröffentlichung amerikanischer Geheimdokumente. Geteilt hat er sie mit seinen Freunden auf Discord, einer vor allem bei Gamern beliebten Chat-App. So funktioniert die Plattform.

Philipp Gollmer

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Inzwischen scheint das Rätsel um die Veröffentlichung von amerikanischen Geheimdienstdokumenten weitgehend gelöst. Am Donnerstag hat das FBI den 21-jährige Militärangehörigen Jack Teixeira verhaftet. Er steht im Verdacht, während seiner Arbeit auf einer Militärbasis Geheimdienstinformationen kopiert und in einer Chat-Gruppe auf Discord veröffentlicht zu haben.

Dort verwaltete Teixeira unter dem Pseudonym O.G. – eine Abkürzung für «Original Gangsta» – die Online-Community «Thug Shaker Central», in der sich eine Gruppe von etwa 25 jungen Erwachsenen regelmässig austauschte. Auf «Thug Shaker Central» sprachen sie über Waffen, teilten – oft auch rassistische – Memes oder spielten gemeinsam Videospiele mit Kriegsthematik.

In dieser Gruppe teilte Teixeira mutmasslich über Monate hinweg Abschriften und Kopien von Geheimdokumenten. Zunächst geschah das ohne grosses Aufsehen. Erst als ein Mitglied der Gruppe Anfang März einige der Kopien in einer anderen Discord-Community teilte, nahmen russische Militärblogger und schliesslich die «New York Times» die Informationen auf.

Auf Discord existieren zahlreiche solcher Communitys, die auf der Plattform Server genannt werden. Die Plattform selbst spricht von 19 Millionen solcher Gruppen, die jede Woche aktiv genutzt werden. Insgesamt zählt der Online-Dienst monatlich nach eigenen Angaben 150 Millionen aktive Nutzerinnen und Nutzer.

Discord ist ein Ort, um sich zu vernetzen

Gegründet wurde Discord 2015. Entwickelt wurde der Dienst für Gamer, damit diese sich beim Spielen in Echtzeit und ohne viel Ressourcen zu verbrauchen, via Sprach-Chat austauschen können. Inzwischen hat sich das Zielpublikum erweitert. Discord will heute ein Ort sein, «an dem es leicht ist, sich jederzeit zu treffen und zu unterhalten», wie es auf der Website heisst.

Während der Pandemie, als Menschen rund um den Globus viel Zeit isoliert in den eigenen vier Wänden verbrachten, gewann Discord an Popularität. Um einen Account zu eröffnen, braucht es lediglich eine E-Mail-Adresse. In der Regel treten die Nutzer auf Discord unter einem Pseudonym auf. Inzwischen gibt es auf der Plattform Server für Sportvereine, Krypto-Enthusiasten oder Freundeskreise, die so Kontakt halten. Viele dieser Server sind – wie «Thug Shaker Central» – privat, und man kann nur via Einladung beitreten. Andere sind öffentlich und richten sich an ein grösseres Publikum.

Auf den Servern lassen sich – ähnlich wie bei Slack oder Teams – verschiedene Text- und Sprachkanäle einrichten. Der Austausch lässt sich so einfach und effizient organisieren. Das macht Discord auch für Youtuber, Blogger, Podcaster und Influencer interessant. Ihre Anhänger können sich auf einem Server vernetzen und den neusten Beitrag diskutieren. Die Betreiber können Kanäle einrichten, die nur für zahlende Abonnenten zugänglich sind.

Wie andere Online-Dienste wurde auch Discord wiederholt wegen hasserfüllten und gewaltverherrlichenden Inhalten auf ihrer Plattform kritisiert. Der 18-jährige Schütze, der im vergangenen Jahr in Buffalo zehn Menschen in einem Supermarkt erschossen hat, nutzte Discord, um seine kruden Gedanken und Pläne zu teilen. Rechtsextreme nutzten die Plattform 2017 für die Organisation der Proteste in Charlottesville.

Die Richtlinien von Discord verbieten Hassrede, Drohungen, gewaltsamen Extremismus und Fehlinformationen. Es gibt zwar automatische Systeme, die Verstösse erkennen sollen, für die Moderation verlässt sich die Plattform jedoch zum Grossteil auf Selbstorganisation. Grössere Server kennen sehr strenge Regeln, andere verfügen jedoch über wenige bis keine Verhaltensregeln.

Discord sagt, man überprüfe und handle gegen illegale Aktivitäten oder Richtlinienverstösse auf der Plattform. Auch im aktuellen Fall arbeitet der Online-Dienst mit den Behörden zusammen.

Was auf diesen Servern geschrieben wird, taucht auch nicht in einer Internetsuche auf. Das ist wohl mit ein Grund dafür, warum die geleakten Geheimdokumente so lange nicht auf dem Radar der amerikanischen Behörden erschienen.

Was auf Discord passiert, bleibt auf Discord – theoretisch

Laut Aussagen von Mitgliedern von «Thug Shaker Central» habe Jack Teixeira alias O.G. im Oktober 2022 begonnen, Abschriften von als geheim eingestuften Dokumenten zu teilen. Er habe das gemacht, um vor seinen Online-Freunden zu prahlen und sie zu informieren. «Alle respektierten O.G.», sagte ein Mitglied gegenüber der «New York Times». «Er war der Mann, der Mythos. Und er war die Legende.»

Über Monate landeten Hunderte von Geheimdokumenten auf dem Server. Von den Mitgliedern habe Teixeira verlangt, die Informationen genau zu studieren, und habe verärgert reagiert, wenn die von ihm geteilten Inhalte von den anderen nicht ernst genommen worden seien. Er äusserte immer wieder Unzufriedenheit mit der Situation in den Vereinigten Staaten und hing Verschwörungstheorien an.

Die Dokumente wären wohl noch lange Zeit isoliert auf dem Server geblieben, hätte nicht ein anderes Mitglied Anfang März mehrere Dutzend Screenshots davon auf einem anderen, grösseren Discord-Server geteilt. Dabei handelt es sich laut «New York Times» um einen 17-jährigen Kalifornier, der wohl die Tragweite der mit ihm geteilten Akten nicht vollends erfasst hatte.

Wie Bellingcat rekonstruierte, zogen die Inhalte von dort immer grössere Kreise. Sie landeten auf einem bei Spielern von Minecraft beliebten Server sowie in der Community eines mittelgrossen Youtubers. Anfang April tauchten die Dokumente dann auf dem Online-Forum 4chan sowie in den Telegram-Kanälen von russischen Militärbloggern auf.

Als ihm klar wurde, dass die von ihm kopierten Geheimdokumente den engen Kreis von «Thug Shaker Central» verlassen haben, löschte Teixeira seine Accounts und begann, sich von seinen Online-Freunden zu verabschieden. Er sei sehr aufgebracht gewesen, wird ein Mitglied der Gruppe von der «New York Times» zitiert. Das sei auch verständlich: «Das ist nicht etwas wie ‹Hoppla – ich werde bestraft›. Hier geht es um eine lebenslange Haftstrafe.»

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